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Cluster von Toponymsuffixen in Deutschland

Die Karte, die ich hier vorstelle, ist aus der Perspektive des Radfahrers gemacht. Wer in Deutschland und anderswo eine Fahrt über Land macht, dem fällt bald auf, dass sich in vielen Gebieten Orte häufen, deren Namen auf dieselben Suffixe enden: Eine kleine Tour um Mönchengladbach herum könnte zum Beispiel in Sasserath im Süden beginnen, über Güdderath nach Wickrath führen, weiter über Hilderath und Mennrath gen Norden Richtung Gerkerath gehen und am nördlichen Stadtrand in Bettrath enden. Wer will, kann noch einen Abstecher nach Beckrath und Herrath machen.

Von Rath nach Rath

Auf einer vergleichbaren Fahrt rund um Mainz wäre die Ausbeute an Orten auf ›-rath‹ hingegen exakt null. Stattdessen könnte die Runde von Gonsenheim aus über Essenheim, Ebersheim und Gau-Bischofsheim nach Bodenheim führen und von dort, zurück auf Mainzer Stadtgebiet, über Laubenheim und Hechtsheim nach Bretzenheim. Das Phänomen dürfte klar – und vielen schon mal aufgefallen – sein.

Über Toponomastik (Ortsnamenkunde) gibt es natürlich haufenweise wissenschaftliche Publikationen. Dieses hier ist keine davon. Rein zur Unterhaltung – und daher mit einem dem Freizeitcharakter dieses Blogs angemessenen Anspruch an Vollständigkeit usw. – habe ich versucht, 101 auffällige Suffixcluster in Deutschland zu kartografieren. Das Ergebnis erinnert an manche der Karten, die das ZEITmagazin seit einigen Jahren in der Rubrik Deutschlandkarte veröffentlicht. Vielleicht gibt es sogar schon eine Deutschlandkarte zu diesem Thema, aber wenn dem so ist, dann habe ich sie nicht gefunden.

Wie also ist diese Karte entstanden? Ich habe mir eine Liste von deutschen Ortsnamen (inklusive zugehöriger Postleitzahlen) gesucht und rückläufig sortiert. Damit ist es nicht schwierig, sich die häufigsten N-Gramme von hinten herauszufischen und einen Blick auf die regionale Verteilung zu werfen. Die allermeisten Suffixe von Interesse entpuppten sich als Tri- bis Pentagramme. Hätte ich mehr Zeit und bessere Programmierkenntnisse, hätte ich eine interaktive Karte erstellen können, die für jeden Postleitzahlenbereich die häufigsten Suffixe anzeigt (am besten noch inklusive Etymologie). Habe ich aber nicht. Stattdessen ist es eine simple eindimensionale Karte geworden, in der man einfach nur ein paar Ortsnamen sieht. Bei der Auswahl der Beispiele habe ich mich zum einen daran orientiert, wie viel Prozent der Vorkommen eines Suffixes in einen (oder mehrere aneinandergrenzende) Postleitzahlenbereich(e) fallen. Im Postleitzahlenbereich 55 finden sich zum Beispiel 17,5 % aller Orte, deren Namen auf ›-heim‹ enden – der höchste Wert aller PLZ-Bereiche. Zum anderen habe ich danach geschaut, wie viele der Ortsnamen in einem PLZ-Bereich das betreffende Suffix enthalten. Bei ›-heim‹ waren das 27,3 % aller Ortsnamen im Bereich 55. Die genauen Prozentzahlen sollte man aufgrund von kleineren Unsauberkeiten in den Daten, die ich auf die Schnelle nicht beseitigen konnte, nicht überinterpretieren. Wohl aber vermitteln sie einen im Großen und Ganzen akkuraten Eindruck von der Verteilung eines Toponymsuffixes. Den Ausschlag dafür, ob ein Name auf der Karte landete, gab – neben meiner Intuition als deutscher Muttersprachler (Wie lokaltypisch und interessant kommt mir das Suffix vor?) – in vielen Fällen die banale Frage, ob an der betreffenden Stelle noch Platz in der Grafik war.

Um die Suffixe auf der Karte nicht so nackt dastehen zu lassen, habe ich jeweils ›Deutsch-‹ davorgesetzt. Wenn ein Suffix irgendwo auf der Karte steht, dann bedeutet das, dass nach meinen Recherchen ungefähr an dieser Stelle eine Reihe von Orten mit demselben Suffix im Namen liegt. Es bedeutet nicht, dass es nirgendwo sonst ein auf diesem Suffix basierendes Cluster gibt (und schon gar nicht, dass es nicht andernorts vereinzelte Orte mit diesem Suffix gibt). Die Strichstärke der Buchstaben gibt an, wie häufig ein bestimmtes Cluster innerhalb der jeweiligen Region ist (und nicht allgemein deutschlandweit). Die ganz dünne Ultra Light (z. B. ›Deutschheide‹ in Mecklenburg-Vorpommern) steht für um die 10 Orte, die etwas kräftigere Semi Light für maximal 30 Orte (z. B. ›Deutschbeck‹ im nördlichen NRW; das ist die häufigste Kategorie), die Semi Bold für rund 30–60 Orte (z. B. ›Deutschwitz‹ in Sachsen). Für Suffixe mit 60–90 Vertretern habe ich die Extra Bold gewählt (z. B. ›Deutschingen‹ in Baden-Württemberg). Die häufigsten Suffixe sind aus dem Black-Schnitt gesetzt (z. B. ›Deutschleben‹ in Sachsen-Anhalt).

Eine evidente Schwäche der Karte ist, dass sie nur die Stärke und nicht die genaue Ausbreitung der Cluster angibt. Man kann davon ausgehen, dass ein Cluster von 60 Orten mehr Raum in Anspruch nimmt als eines von 10, aber auch bei gleicher Clusterstärke wird es Unterschiede in der Fläche geben. Ein weiterer Nachteil ist, dass disperse Cluster, die sich nicht auf zwei oder drei PLZ-Bereiche beschränken, hier nicht dargestellt werden können: Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass Ortsnamen auf ›-e‹ zu fast drei Vierteln in den PLZ-Bereichen 0, 1, 2, 3 und 4 (also ganz grob gesprochen: in der nördlichen Hälfte Deutschlands) liegen bzw. zu rund 55 % in den Bereichen 1, 2 und 3. Das ist ein kombinierter Effekt zahlreicher Suffixe, der sich in der gewählten Form nicht gut wiedergeben lässt – vielleicht etwas für ein nächstes Projekt. Wie immer dem sei, hier ist die Karte (Lizenz: CC BY-SA 3.0*):

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Op stee. Drentse en Groninger plaatsnamen verzameld ★★★✩✩

n Kollegoa van mie is geboren en opgruid in Börk in Drìnt. Hai het ais n moal zegd dat t n dörp is dat allènt mor om twij reden op de landelke media komt: oorlog en file. In t Nederlands wordt Börk nait ‘Börk’ nuimd, mor ‘Westerbork’ – of, deur wèl der nait opgruid is, ‘Wésterbork’. Mien kollegoa is wis en zeker nait d’ainege dij dat nait geern heurt. In t dörp zulf zeggen ze, as ze Nederlands proaten, noamelk ‘Westerbórk’ – mit de klemtoon op de leste lettergreep. Dat is nog nait tot Hilversum deurdrongen (en meschains nog ìns nait tot elkenain in Azzen). Over dat onderwaarp – noamen van ploatsen in Grunnen en Drìnt – gaait ‘Op stee’, n boukje dat kört leden oetbrocht is deur t Bureau Groninger Taal en Cultuur en t Huus van de Taol. t Is n keerbouk mit twij veurkanten: aan d’aine kaande t Drìntse dail, aan d’aandere t Grunneger dail. Op dij menaaier staait gain van de streektoalen achter in t bouk – n leuk trucje.

In t centrum van baaide dailen staait n lieste van ploatsnoamen zo as dij in t dialect broekt worden. In t Grunneger dail van t bouk nemt dij lieste sikkom vatteg bladzieden in beslag. In t Drìntse dail binnen t mor tien. De reden doarveur ligt in t vleden. De gegevens over hou dij ploatsen tegenwoordeg nuimd worden, kommen oet de Vroag/Vraog & Antwoord-enquêtes. In Grunnen is dat n vervolg op n enquête oet de joaren 80; in Drìnt is ter gain veurganger. Over de verglieken van de nije en de olle Grunneger gegevens vaalt vanzulf meer te vertellen. De Drìntse lieste is dus sowieso wat moagerder, mor hai vaalt mie dubbel òf. Twijmoal wordt ter in t Drìntse dail van t boukje op wezen dat de klemtoon van ploatsnoamen (zowel in t dialect as in de standaardtoal) nait te veurspellen is. Dou k de lieste opsluig om ais op te zuiken hou of je ‘Lukkenwol’ goud oetspreken, mos k laggen. De klemtoon is gewoon nait aangeven! k Neem nait aan dat ze t vergeten binnen, dus t zel wel mit n gebrek aan gegevens te moaken hebben. t Is hou din ook n minpunt. Ook veur de rest het t Drìntse dail veul minder om hakken. t Was schienboarliek de bedoulen dat elk van de twij dailen 63 bladzieden vult. In t Drìntse dail mozzen doarveur tal van waaineg relevante zinnen oet woordenbouken citeerd worden en hoast net zo veul gedichten doar bie touval ain of twij ploatsnoamen in veurkommen. Wat mie betreft, haar haalfschaid van dij zinnen en gedichten makkelk achterwege blieven kind.

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Auf ein Wort (15): Gert Jõeäär

Gert Jõeäär estn. [ˌkert ˈjɤ̯eæːr]

Zum Vokalphonem /ɤ/:

»The unrounded back vowel /ɤ/ can be realized depending on the speaker as a mid back vowel [ɤ], a close back vowel [ɯ] or a mid central vowel [ɘ]
Asu, E. L. & Teras, P. (2009). Estonian. Journal of the International Phonetic Association, 39 (3), 367–372.

Und eine etymologische Erläuterung: Der Name ›Jõeäär‹ bedeutet auf Estnisch ›Flussufer‹.

Kleine Rätsel

Ich fragte mich schon seit einer Weile, welche Schriftart das niederländische Verteidigungsministerium für seine Rekrutierungskampagne ›Werken bij Defensie – Je moet het maar kunnen‹ verwendet. Nach kurzen Recherchen habe ich die Schriftart heute identifiziert. Es ist die Capricorn von Jens Gehlhaar, um 1994 entworfen und 2007 veröffentlicht bei Die Gestalten.


Außer der Capricorn sind vom selben Designer nur ein paar angegrungte, heute eher uninteressante Fonts aus den 90ern kommerziell verfügbar (Übersicht bei Identifont). Gehlhaar hat Deutschland in Richtung Kalifornien verlassen – “At the college in Germany, I felt intellectually under-challenged […], I also felt that German design […] lagged behind Dutch, British and American design” (Quelle) – und gestaltet seitdem vor allem exklusive Schriftarten für Unternehmen.

Geboren wurde Gehlhaar am 31. Dezember 1965 in Peine, Niedersachsen (studiert hat er übrigens an der FH Niederrhein). Wirft man einen Blick auf die geografische Verteilung* seines Nachnamens, zeigt sich, dass die Stadt Peine (unten hervorgehoben) tatsächlich eines von mehreren Gebieten in Deutschland ist, in denen ›Gehlhaar‹ überdurchschnittlich häufig auftritt. Weitere Gehlhaar-Zentren sind die Stadt Erfurt, die Stadt Wilhelmshaven und das Umland von Leipzig.


Etymologisch handelt es sich bei ›Gehlhaar‹ um einen Übernamen, also einen beschreibenden Namen, der sich auf einen Ahn mit wohl blonden Haaren bezog. Die mittelhochdeutsche Form ›gël‹ für ›gelb‹, heute meist ›gehl‹ geschrieben, findet sich in der Hochsprache kaum noch; die meisten dürften die Form allenfalls aus dem Lied Backe, backe Kuchen (»Safran macht den Kuchen gehl!«) kennen. In vielen nord- wie süddeutschen Dialekten sowie im Niederländischen (dort ›geel‹ geschrieben und [χeɪ̯l] bzw. [ɣeːl] gesprochen) ist die Form allerdings noch gängig.

*  Die Karte wurde mit Geogen erstellt und steht unter der Lizenz CC BY-NC-SA 2.0.

Endemische Nachnamen (2)

Der Rücktritt des CDU-Schatzmeisters Helmut Linssen hat meine Aufmerksamkeit einmal mehr auf das Phänomen der endemischen Nachnamen gelenkt. Linssen, geboren in Krefeld und aufgewachsen in Geldern im Kreis Kleve am Niederrhein, trägt einen solchen Namen, wie die Karte* zeigt (auch wenn ein paar Ausgewanderte bis ins Allgäu vorgedrungen sind):

Ländliche Regionen sind an solchen Nachnamen oft reicher als Großstädte. Und selbst unauffällig klingende Nachnamen können eine geografisch eng umgrenzte Verteilung aufweisen, wie das Beispiel von ›Rennes‹ zeigt, das außerhalb des Kreises Viersen praktisch nicht vorkommt:

Weniger überraschend ist eine derartige Verteilung bei Namen, denen man ihre Herkunft schon anhört – etwa Bovender/Boves, Bröckskes/Bröxkes, Genneper, Geuchen, Heisters, Kuylkens, Luyten, Optenplatz, Remmertz, Schmedders/Schmetten, Schongen, Smeets, Siemes/Ziemes (alle am häufigsten im Kreis Viersen), Aengenendt, Dellmans, Geerkens, Heykamps, Olislagers, Ripkens, Soesters, Stiphout, Straeten, Teneyken, Treeck, Tönnißen, Trienekens (alle am häufigsten im Kreis Kleve) oder Joerißen (Kreis Heinsberg). Für letzteren Namen zeige ich noch mal eine Karte, weil’s so schön ist:

*  Alle Karten wurden mit Geogen erstellt und stehen unter der Lizenz CC BY-NC-SA 2.0.

Endemische Nachnamen

Ein Phänomen, das mich interessiert, sind Nachnamen, die nur in eng begrenzten Gebieten vorkommen. Ich selbst habe einen Nachnamen, der zu den 100 häufigsten in der Bundesrepublik gehört und dementsprechend keine kleinräumige regionale Verteilung kennt (immerhin praktisch, weil er so gut wie nie falsch verstanden oder geschrieben wird). Besonders interessant sind natürlich endemische Nachnamen aus Regionen, zu denen man einen wie auch immer gearteten Bezug hat – bei mir unter anderem die Vorderpfalz, Rheinhessen und der Niederrhein. Gerade heute fiel mir (warum auch immer) der Name einer lang pensionierten Kassiererin in einem Supermarkt bei meinen Eltern um die Ecke ein: Hinderkopf – oder wie man auf Meenzerisch sagt: [ˈhɪnækɔp]. Und tatsächlich: Der Name kommt, wie die Karte* zeigt, tatsächlich fast nur in Rheinhessen vor:

Schreibweisen wie ›Hinterkopf‹ oder ›Hinnerkopf‹ sind dagegen in völlig anderen Regionen verbreitet. Wenig überraschend ist die extrem begrenzte Verteilung bei einem Nachnamen, dem ich vor ein paar Jahren zum ersten und einzigen Mal begegnet bin: Hexemer. Er kommt, wie man auf der Karte erkennen kann, praktisch nur im Landkreis Mainz-Bingen vor:

Wenig überraschend ist das deswegen, weil es sich bei ›Hexem‹ um den mundartlichen Name des Mainzer Vororts (bzw. des bis 1969 selbstständigen Dorfes) Hechtsheim handelt. Ein Hechtsheimer ist demnach im Dialekt ein ›Hexemer‹. Ein anderer Nachname, dessen Endemizität mir ebenfalls erst in den letzten Tagen aufgefallen ist, ist Tebartz. Der Name scheint, wie auch der (Noch?-)Bischof von Limburg, vom nördlichen Niederrhein zu kommen, genauer gesagt aus dem Kreis Kleve; nirgendwo sonst ist, wie die Karte zeigt, die relative Häufigkeit höher:

In den angrenzenden Landkreisen Viersen und Wesel gibt es auch einige Tebartze, aber sonst sind nur einzelne Personen über die Republik verstreut.

* Alle Karten wurden mit Geogen erstellt und stehen unter der Lizenz CC BY-NC-SA 2.0.