Zwischen Wulvers und Wohlwort

Ich war neulich in einem Einkaufszentrum, fand die Toilette nicht und fragte daher die Mitarbeiterin eines Ladens, wo sich die Toiletten befinden. Sie antwortete: »Beim Woolworth links« – oder phonetisch: [baɪ̯m ˈvɔl.vɔɐ̯t ˈlɪŋs]. Und schon war ich bei der Frage: Wie spricht man eigentlich Woolworth aus?

Die Geschichte der Unternehmen, die unter Woolworth firmier(t)en, ist kompliziert und für die vorliegende Frage so uninteressant, dass ich sie hier nicht zusammenfasse. In jedem Fall wurde das ursprüngliche Unternehmen von Frank Winfield Woolworth (1852–1919), einem amerikanischen Unternehmer, gegründet. Schlägt man seinen Namen in einem Aussprachewörterbuch des Englischen nach (z. B. dem Longman Pronunciation Dictionary), findet man dort für das amerikanische Englisch [ˈwʊl.wɝːθ] und für das britische Englisch [ˈwʊl.wəθ] bzw. [ˈwʊl.wɜːθ]. Hört man sich an, wie englischsprachige Menschen auf YouTube den Namen aussprechen, deckt sich das mit diesen Angaben.

Im Deutschen wird der Name anders ausgesprochen – nicht zuletzt, weil die meisten Laute der englischen Aussprache im deutschen Lautsystem nicht vorkommen. So erscheint [w] im Deutschen nur marginal, nämlich in Entlehnungen aus dem Englischen. Es ist wohl eher als freie Variante von /v/ zu betrachten denn als Phonem. Im Aussprache-DUDEN steht: »Für englisches <w> und <wh> sind eingedeutschtes [v] und ausgangssprachliches [w] üblich, wobei jüngere Entlehnungen oder Wörter mit weiteren englischen Phonemen eher [w] haben.« Das englische /l/ lautet in diesem Wort bzw. in einigen Varietäten generell [ɫ], ist also – anders als im Standarddeutschen – velarisiert. /ɜː/ hat im Deutschen keine direkte Entsprechung. [θ] verhält sich ähnlich wie [w]. Ich zitiere wiederum den Aussprache-DUDEN: »Der nur in wenigen gängigen Entlehnungen vorkommende dentale Frikativ [θ] (Thriller, Thread) wird im Alltag häufig als [s] eingedeutscht (selten als [t]), bei Berufssprechern (v. a. bei englischen Namen) und bei fortgeschrittener Fremdsprachenkenntnis aber regelmäßig als [θ].« Damit ist [ʊ] der einzige Laut in diesem Namen, der im Englischen und Deutschen gleichermaßen vorkommt.

Schlägt man Woolworth im Aussprache-DUDEN (Dudenredaktion, 2015) und im Deutschen Aussprachewörterbuch (Krech et al., 2009) nach, findet man Folgendes: Der DUDEN gibt fürs Deutsche [ˈvoːlvɔrt] an – sowie zusätzlich, als Transkription der englischen Originallautung, [ˈwʊlwə[ː]θ]. (Die Transkriptionen nicht-deutscher Lautungen im Aussprache-DUDEN sind oft nicht sehr präzise und berücksichtigen kaum Varianten, aber fürs Englische haben wir ja bereits bessere Quellen betrachtet.) Das DAWB gibt [vˈʊlvœːᵄθ] an. Dabei handelt es sich um eine Transkription der vorgeschlagenen Eindeutschung; die Betonungsmarkierung wird in diesem Wörterbuch immer direkt vor dem betonten Vokal platziert. Interessant ist, dass die Eindeutschung im DAWB nur auf der ausgangssprachlichen Lautung basiert, wohingegen der DUDEN eine – sagen wir – deutsche spelling pronunciation angibt.

Meines Erachtens tut der DUDEN das zu Recht. [ˈvoːl.vɔɐ̯t] – oder auch, wie bei der Verkäuferin, die mir Auskunft gab, mit kurzem betontem Vokal [ˈvɔl.vɔɐ̯t] – ist eine, vielleicht sogar die gängige Aussprache des Namens im Deutschen. Auf dem YouTube-Kanal von Woolworth Deutschland berichten acht Auszubildende von ihren Erfahrungen im Unternehmen und nennen auch jeweils den Namen des Unternehmens. Die häufigste Aussprache ist dabei [ˈvuːl.vœːɐ̯s] – oder ähnlich, teilweise mit [w] statt [v] oder dentalerem [s̪] bis zu komplett dentalem [θ]. Am zweithäufigsten ist [ˈvɔl.vɔɐ̯t] zu hören. Dass es sich bei dieser Aussprache, die sich weit von der englischen Lautung entfernt, um eine stigmatisierte Aussprache handelt, lässt sich daran erkennen, dass eines der Videos, in denen diese Aussprache vorkommt, mit »Die kann den Namen des Unternehmens gar nicht aussprechen« kommentiert wurde. In den Videos auf dem YouTube-Kanal des Unternehmens, die von professionellen Sprecher*innen gesprochen werden, dominiert eine Lautung, die ich als [ˈwuːlwœːɐ̯θ] transkribieren würde – teilweise auch mit schwächer dentalem Auslaut oder mehr in Richtung [v] tendierendem Anlaut. In anderen Videos auf dem Unternehmenskanal sind von nicht-professionellen Sprecher*innen weitere Lautungen, zum Beispiel [ˈvuːl.vɔɐ̯t], zu hören. Aus eigener Erfahrung ist mir zusätzlich die Aussprache [ˈvʊl.vɐs] bekannt, die mit dem reduzierten Vokal in der zweiten Silbe an die britische Aussprache erinnert.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass der einzige halbwegs stabile Laut in der Eindeutschung des Namens Woolworth das [l] ist. Es mag Fälle geben, in denen der Laut auch im Standarddeutschen, nach englischem Vorbild, velarisiert wird, aber das scheint selten zu sein. Ansonsten gibt es im Wesentlichen zwei Strategien: Bei der einen Strategie wird der Firmenname als deutsches Wort aufgefasst und auch so ausgesprochen. Aus [w] wird dann [v], aus den beiden Vokalen [oː] und [ɔ] oder zweimal [ɔ], aus [θ] ein [t]. Das Ergebnis wäre das vom Duden angegebene [ˈvoːl.vɔɐ̯t] bzw. [ˈvɔl.vɔɐ̯t]. Bei der anderen Strategie wird offenbar die ausgangssprachliche Lautung zugrunde gelegt und werden die Laute durch die besten verfügbaren Äquivalente im (erweiterten) deutschen Lautsystem ersetzt. [w] bleibt dann [w] oder wird allenfalls, wie bei der anderen Strategie, zu [v]. [θ] bleibt [θ] oder wird zu einem mehr oder weniger dentalen [s], nicht aber zu [t]. Das amerikanische [ɝː] wird als [œːɐ̯] wiedergegeben. Beide Strategien sind in sich logisch (und auch gegen Vermischungen, wie etwa bei [ˈvuːl.vɔɐ̯t] ist natürlich nichts einzuwenden). Allerdings hat die zweite Strategie eine Merkwürdigkeit.

Ich hatte oben darauf hingewiesen, dass [ʊ] der einzige Laut in der englischen Lautung ist, der ein direktes phonetisches Äquivalent im Deutschen hat. (Wenn man sehr streng wäre, könnte man zwischen englischem [ʊ] und deutschem [ʊ] Unterschiede finden, aber ich bin nicht sehr streng. Wenn man noch weniger streng wäre, ließe sich auch von einer Beinahe-Äquivalenz von velarem [ɫ] und nicht-velarem [l] ausgehen.) Es ist interessant, dass genau dieses [ʊ] selbst in der deutschen Aussprache, die sich an der ausgangssprachlichen Lautung orientiert, selten so realisiert wird. Ich habe keinen deutschen Onlinebeleg für die Aussprache mit [ʊ] finden können, sondern kenne die Aussprache nur aus der Erinnerung. Stattdessen wird oo bei der Eindeutschung meist [uː] ausgesprochen. Woran liegt das?

Im Deutschen kommt hier wohl eine Art spelling pronunciation zum Einsatz, die auf einer nicht ganz dem Englischen entsprechenden Laut-Buchstaben-Zuordnung basiert. Englische Rechtschreibung ist bekanntermaßen ein Chaos historisch gewachsen, und so entspricht das Graphem oo verschiedenen Lauten oder Lautkombinationen: In vielen Fällen steht oo für /uː/, wie in boot oder cool. Vor k oder d hingegen ist /ʊ/ die häufigste Aussprache, wie in book oder wood. Der jeweils andere Laut kommt in der jeweils anderen Umgebung aber auch vor, nur eben seltener: Dass man spook und food mit /uː/ ausspricht, dürften einige Sprecher*innen des Deutschen wissen. Dass wool und soot im Englischen hingegen mit /ʊ/ lauten, ist weniger bekannt. Die englische Regel wird von vielen also dahingehend vereinfacht, dass vor k und d /ʊ/ steht (man hört bisweilen deutsche Muttersprachler*innen, die food [fʊd] bzw. [fʊt], also identisch mit foot, aussprechen) und ansonsten /uː/, also auch in wool. (Lexikalische Ausnahmen wie blood, in denen oo vor d für einen ganz anderen Laut, hier: /ʌ/, steht, sind so auffällig, dass sie den meisten Lernenden bewusst werden.) Die Lautung, auf der die bestmögliche Eindeutschung basiert, ist also in der Vorstellung vieler, die Deutsch sprechen, anscheinend gar nicht das ausgangssprachliche [ˈwʊl.wɝːθ], sondern das leicht davon abweichende [ˈwuːl.wɝːθ]. Die Eindeutschung als [ˈwuːlwœːɐ̯θ] mag daher für Sprecher*innen des Englischen sonderbar wirken, ist aber auf Basis einer unvollständigen Kenntnis englischer Laut-Buchstaben-Zuordnungen erklärlich.

Jetzt wissen wir also, auf wie viele unterschiedliche Weisen Woolworth im Englischen und vor allem im Deutschen ausgesprochen wird. Und wie soll man es aussprechen? Wie man möchte. Hauptsache, das Gegenüber weiß anschließend, wo es nach der Toilette suchen muss.

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