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Kleine Rätsel

Ich fragte mich schon seit einer Weile, welche Schriftart das niederländische Verteidigungsministerium für seine Rekrutierungskampagne ›Werken bij Defensie – Je moet het maar kunnen‹ verwendet. Nach kurzen Recherchen habe ich die Schriftart heute identifiziert. Es ist die Capricorn von Jens Gehlhaar, um 1994 entworfen und 2007 veröffentlicht bei Die Gestalten.


Außer der Capricorn sind vom selben Designer nur ein paar angegrungte, heute eher uninteressante Fonts aus den 90ern kommerziell verfügbar (Übersicht bei Identifont). Gehlhaar hat Deutschland in Richtung Kalifornien verlassen – “At the college in Germany, I felt intellectually under-challenged […], I also felt that German design […] lagged behind Dutch, British and American design” (Quelle) – und gestaltet seitdem vor allem exklusive Schriftarten für Unternehmen.

Geboren wurde Gehlhaar am 31. Dezember 1965 in Peine, Niedersachsen (studiert hat er übrigens an der FH Niederrhein). Wirft man einen Blick auf die geografische Verteilung* seines Nachnamens, zeigt sich, dass die Stadt Peine (unten hervorgehoben) tatsächlich eines von mehreren Gebieten in Deutschland ist, in denen ›Gehlhaar‹ überdurchschnittlich häufig auftritt. Weitere Gehlhaar-Zentren sind die Stadt Erfurt, die Stadt Wilhelmshaven und das Umland von Leipzig.


Etymologisch handelt es sich bei ›Gehlhaar‹ um einen Übernamen, also einen beschreibenden Namen, der sich auf einen Ahn mit wohl blonden Haaren bezog. Die mittelhochdeutsche Form ›gël‹ für ›gelb‹, heute meist ›gehl‹ geschrieben, findet sich in der Hochsprache kaum noch; die meisten dürften die Form allenfalls aus dem Lied Backe, backe Kuchen (»Safran macht den Kuchen gehl!«) kennen. In vielen nord- wie süddeutschen Dialekten sowie im Niederländischen (dort ›geel‹ geschrieben und [χeɪ̯l] bzw. [ɣeːl] gesprochen) ist die Form allerdings noch gängig.

*  Die Karte wurde mit Geogen erstellt und steht unter der Lizenz CC BY-NC-SA 2.0.

Alle Optionen (2)

Mein Beitrag von vor einem guten Monat über die Petala mit ihren zahlreichen Alternativglyphen kam mir wieder in den Sinn, als ich mir die neueste Veröffentlichung von Gerard Unger (via Typekit) näher ansah. Alverata heißt sie. Die Herleitung und Entwicklung der lateinischen Formen erfolgte im Rahmen von Gerard Ungers Promotion an der Universität Leiden. Zusätzlich unterstützt die Schrift polytonisches Griechisch, das in Zusammenarbeit mit Gerry Leonidas (Γεράσιμος Λεωνίδας; University of Reading) and Irene Vlachou (Ειρήνη Βλάχου; Athen) entstand, sowie Kyrillisch, zu dessen Gestaltung Tom Grace einen Beitrag leistete. Hier ein kleiner Eindruck:

Oben gezeigt ist die ›normale‹ Alverata – übrigens gleich auf den ersten Blick als typisch unauffälliger, vermutlich angenehm zu lesender Unger-Entwurf erkennbar. Diese Version der Alverata kommt allerdings nicht allein. Es gibt zwei weitere: ›Informal‹ und ›Irregular‹. Letztere ist am deutlichsten von romanischen Inschriften aus dem 11. und 12. Jahrhundert inspiriert, mit denen sich Unger für seine Dissertation beschäftigt hat. Die Irregular enthält, wie diese Inschriften, Formen in der Tradition der römischen Capitalis quadrata sowie afrikanischer und insularer Unzialschrift. Daher weichen zum einen einzelne Buchstaben von der Normalversion der Schrift ab. Zum anderen wurden zu einigen Buchstaben zusätzlich Alternativglyphen gezeichnet, die einander – dank OpenType – beim Tippen automatisch abwechseln. Wörter mit zwei- oder dreimal demselben Buchstaben hintereinander können so von ein wenig romanischer varietas profitieren. Das sieht wie folgt aus:

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Grenzüberschreitendes Viertel

Ein Viertel ist auf Niederländisch ein kwart, ein Vierteljahr ein kwartaal usw. Standardsprachlich gibt es zu Letzterem kaum Alternativen, abgesehen vom formellen trimester. Heute entdeckte ich allerdings, dass der Dikke van Dale ein Synonym für kwartaal auflistet, das für Deutsche vertraut klingt: verreljaar, versehen mit der Einschränkung ›gewestelijk‹ (regionaler Sprachgebrauch). Wenn man weiß, dass ein Viertel im Niederländisch nicht nur als vierde, sondern auch als vierendeel bezeichnet wird, ist man der Etymologie des Viertels bereits auf der Spur. Im Althochdeutschen, also bis ins 11. Jahrhundert, lautete das Wort noch fiorteil, woraus im Mitteldeutschen vierteil geworden ist. Noch 1545 übersetzt Luther Vers 8 des 9. Kapitels im 1. Buch Samuel (1 Sam 9,8) wie folgt:

Der Knabe antwortet Saul wider / vnd sprach / Sihe / ich hab ein vierteil eins silbern Sekels bey mir / den wollen wir dem man Gottes geben / das er vns vnsern weg sage.

In der revidierten Luther-Übersetzung von 1984 ist daraus geworden:

Der Knecht antwortete Saul abermals und sprach: Siehe, ich hab einen Viertel-Silbertaler bei mir; den wollen wir dem Mann Gottes geben, dass er uns unsern Weg sage.

Im Niederländischen ist die phonetische Entwicklung etwas anders abgelaufen – ungefähr in den Bahnen, die auch zu veertig statt vierzig geführt haben. Interessant ist, dass das Wort verreljaar vor rund zweihundert Jahren auch noch außerhalb des Dialektalen gebräuchlich gewesen zu sein scheint; Belegstellen aus den Werken Jacob van Lenneps oder Herman Heijermans’ zeigen dies. Inzwischen scheint sich die Verwendung des Wortes jedoch auf (vor allem nah an der deutschen Grenze gesprochene) Mundarten zu beschränken: Im Groninger Dialekt zum Beispiel kommen die Begriffe vörrel (Viertel), vörreljoar (Vierteljahr) und vörreln (vierteln) noch regelmäßig vor.

Drei Generationen


Mein Favorit ist Nummer 2. Das älteste Design hat offensichtliche Schwächen: wenig harmonische Kombination von Logo und Schnittkante, willkürlich erscheinender Schriftenmix (Dax, Papyrus und Century Gothic), eher leblos wirkende Kräuter. Der neueste Entwurf ist gefällig, aber mir ein bisschen zu glatt. Vielleicht liegt es an der Museo als Schriftart, die ich eher mit Technik (siehe etwa Dell) als mit Lebensmitteln assoziiere; die eher kantige Cambria – von mir geschätzt und gern eingesetzt – fügt sich indes erstaunlich gut ein. Das an eine grobe Kordel gebundene Schildchen des zweiten Designs bleibt mir dagegen als charmant in Erinnerung. Als nette Verfeinerung hätte sich angeboten, das Wort ›Sterrenmunt‹ tatsächlich von Hand zu schreiben – statt es unter Verwendung der Wiesbaden Swing zu setzen. Zudem erscheinen mir die Farben beim zweiten Design am sattesten (auch in der Realität, nicht nur auf dem Foto), aber das mag am Druck der einzelnen Packung liegen. Was mich am meisten erstaunt, ist jedoch: Diese Packungen haben im Zeitraum von nicht viel mehr als anderthalb Jahren in den Regalen gelegen. Für ein Produkt, von dem ich annehmen würde, dass es sich eher über den Inhalt als über die Hülle verkauft, finde ich das einen recht schnellen Wechsel.