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Grenzüberschreitendes Viertel

Ein Viertel ist auf Niederländisch ein kwart, ein Vierteljahr ein kwartaal usw. Standardsprachlich gibt es zu Letzterem kaum Alternativen, abgesehen vom formellen trimester. Heute entdeckte ich allerdings, dass der Dikke van Dale ein Synonym für kwartaal auflistet, das für Deutsche vertraut klingt: verreljaar, versehen mit der Einschränkung ›gewestelijk‹ (regionaler Sprachgebrauch). Wenn man weiß, dass ein Viertel im Niederländisch nicht nur als vierde, sondern auch als vierendeel bezeichnet wird, ist man der Etymologie des Viertels bereits auf der Spur. Im Althochdeutschen, also bis ins 11. Jahrhundert, lautete das Wort noch fiorteil, woraus im Mitteldeutschen vierteil geworden ist. Noch 1545 übersetzt Luther Vers 8 des 9. Kapitels im 1. Buch Samuel (1 Sam 9,8) wie folgt:

Der Knabe antwortet Saul wider / vnd sprach / Sihe / ich hab ein vierteil eins silbern Sekels bey mir / den wollen wir dem man Gottes geben / das er vns vnsern weg sage.

In der revidierten Luther-Übersetzung von 1984 ist daraus geworden:

Der Knecht antwortete Saul abermals und sprach: Siehe, ich hab einen Viertel-Silbertaler bei mir; den wollen wir dem Mann Gottes geben, dass er uns unsern Weg sage.

Im Niederländischen ist die phonetische Entwicklung etwas anders abgelaufen – ungefähr in den Bahnen, die auch zu veertig statt vierzig geführt haben. Interessant ist, dass das Wort verreljaar vor rund zweihundert Jahren auch noch außerhalb des Dialektalen gebräuchlich gewesen zu sein scheint; Belegstellen aus den Werken Jacob van Lenneps oder Herman Heijermans’ zeigen dies. Inzwischen scheint sich die Verwendung des Wortes jedoch auf (vor allem nah an der deutschen Grenze gesprochene) Mundarten zu beschränken: Im Groninger Dialekt zum Beispiel kommen die Begriffe vörrel (Viertel), vörreljoar (Vierteljahr) und vörreln (vierteln) noch regelmäßig vor.

Apfel & Ei

Ich stellte neulich mit Erstaunen fest, dass der DUDEN nur einzige Form der Redewendung führt, die ich als ›für ’n Appel und ’n Ei‹ wiedergegeben hätte, und zwar ›für einen Apfel und ein Ei‹. Für mich klang das eher artifiziell und steif, weshalb ich mich fragte: Ist das wirklich die gängigere Form? Abgelenkt wurde ich von der Frage, woher die Redewendung eigentlich stammt – und im Grunde verrät das die von mir präferierte Form bereits. Sie muss in jedem Fall nördlich der Speyerer Linie entstanden sein, wo man im Dialekt ›Appel‹ sagt, während es südlich der Isoglosse ›Apfel‹ heißt. Während ich bei einer oberflächlichen Onlinerecherche früheste deutsche Belege aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden habe, scheint die Redensart in den Niederlanden bereits ein Jahrhundert früher in Verwendung gewesen zu sein. Allerdings war die Reihenfolge der Elemente hier anfangs anders – also erst das Ei, dann der Apfel. Über niederdeutsche Dialekte dürfte die Verbindung ins Standarddeutsche gewandert sein. Bei Google Books findet sich beispielsweise eine Grammatik der Mundart von Mülheim a. d. Ruhr von 1898, in der neben dieser noch andere stark ans Niederländische erinnernde Wendungen zu finden sind. Zurück zur Häufigkeit: Verschiedene Quellen liefern hierbei unterschiedliche Daten. Sucht man ganz einfach nach den entsprechenden Formen bei Google, macht die Apfel-Form rund 44 Prozent der Ergebnisse aus. Im Ngram Viewer von Google Books macht die Analyse erst ab frühestens 1975 Sinn, da in den vorherigen Jahren meist nur ein Treffer für eine der beiden Formen zu finden ist. Extrem hoch ist die Trefferzahl auch in den Jahren danach teilweise nicht. Berücksichtigt man die Jahre von 1975 bis 2008, kommt die Apfel-Form auf einen Anteil von gut 60 Prozent. 1989 ist das letzte Jahr, in dem eine der Formen ausschließlich vorkam. Zählt man nur die Werte aus den Folgejahren, reduziert sich der Apfel-Anteil leicht auf 55 Prozent. Im Deutschen Referenzkorpus/Archiv der Korpora geschriebener Gegenwartssprache macht die Apfel-Form dagegen bloß knapp 27 Prozent aus, wobei dieses Ergebnis primär auf Quellen aus Deutschland beruht. In Österreich werden beide Formen etwa gleich häufig verwendet; in der Schweiz kommt die Appel-Form, bei wiederum niedrigen Trefferzahlen, gar nicht vor. Zusammenfassend lässt sich jedenfalls sagen, dass die Appel-Form in den betrachteten Quellensammlungen keine extreme Seltenheit darstellt oder teilweise sogar die Mehrheit der Belege ausmacht. Es wäre nicht falsch, diese Form in ein (mehr oder weniger) deskriptives Wörterbuch des Deutschen aufzunehmen.

Santiago de Compostela

Bei der phonetischen Eindeutschung des Namens dieser Stadt in Spanien (Galicien, um genau zu sein) gibt es mindestens zwei Möglichkeiten. Die meisten Nachrichten, die ich heute gehört habe, entschieden sich für eine Variante, die ich nicht präferiert hätte – aber der Reihe nach. Auf Spanisch lautet der Name [sanˈtjaɰo ðe komposˈtela]. Die ersten beiden Teile sollen uns nicht weiter interessieren; deren Eindeutschung ist mit [zanˈti̯aːɡo de] unkompliziert. Aber was passiert mit dem vorletzten Vokal des letzten Wortes, dem [e]? Im Deutschen kann entweder die Quantität (also kurz) oder die Qualität (also halbgeschlossen) bewahrt werden. Ein kurzes [e] hat das Deutsche in betonter Position nicht. Ich hätte mich für die Qualität entschieden und [kɔmpɔsˈteːla] gesagt. Das Deutsche Aussprachewörterbuch (Krech et al.) stimmt mir zu, anders als die Sprecher und Moderatoren von tagesschau, heute und weiteren Nachrichtensendungen. Dort hieß es nämlich [kɔmpɔsˈtɛla]. Warum? Abgesehen von persönlicher Vorliebe (oder Ahnungslosigkeit) böte noch das Galicische eine Erklärung. Anders als im Spanischen lautet der letzte Teil des Namens dort nämlich [komposˈtɛla], dessen letzte zwei Silben sich mit weniger Verlust ins Deutsche übertragen lassen. Es kommen also zwei native Formen des Namens zusammen, von denen man eine als [-tɛla] eindeutschen kann und eine so eindeutschen sollte. Das sind genug Gründe für diese Lautung, aber ich muss zugeben, dass mir [-teːla] nach wie vor sympathischer ist.