Bye bye, TheAntiqua

Seit Samstag, dem 19. April 2014, 20 Uhr werden die Sendungen von ARD-aktuell – tagesschau, tagesthemen, nachtmagazin usw. – aus einem neuen Studio und in neuer Gestaltung ausgestrahlt. Über Studio, Titelmelodie und viele andere Aspekte des neuen Layouts ist bereits genug gesagt worden. Über die neue Typografie habe ich nur an einer Stelle etwas gelesen, und das stimmte nicht mal – aber dazu später mehr. Fangen wir erst mal von vorne an: beim Indikativ. Die tagesschau verwendet seit 1997 verschiedene Schriftarten aus der von Lucas de Groot entworfenen Thesis-Schriftsippe, die damals noch keine fünf Jahre alt war. An erster Stelle im typografischen Konzept stand immer TheSans, das serifenlose Sippenmitglied. Auch die Wortmarken, mit der die Sendungen eröffnet werden, waren stets direkt aus TheSans gesetzt – jedenfalls bis 2012, als die Vorspänne zuletzt renoviert wurden und auf einmal eine merkwürdige Mischung aus der normalen, proportionalen TheSans und der Festbreitenvariante TheSansMono SemiCondensed auftauchte. Das sah dann so aus:

Einige Buchstaben – vor allem ›t‹, ›s‹ und ›c‹ – sind breiter als in der proportionalen TheSans und sorgen für ein gedrungeneres Erscheinungsbild der Wortmarke. Dass die Sendungsnamen nicht komplett aus der nicht-proportionalen TheSansMono gesetzt wurden, zeigte sich bei den tagesthemen und dem nachtmagazin, deren Schriftzüge nicht das in Festbreitenschriften immer massiv gequetschte ›m‹ aufweisen, sondern das normale, vollbreite ›m‹ der gewöhnlichen TheSans. Das lieblos wirkende Spacing der Buchstaben im oben gezeigten Schriftzug habe ich übrigens nicht erfunden; so wurde die Wortmarke bis letzten Samstag verwendet. Ersetzt wurde sie nun durch eine Version, die wieder aus TheSans gesetzt wurde, und zwar ohne wesentliche Veränderungen an den Buchstabenabständen:


Das Spacing ist insgesamt besser als bei der 2012er-Variante (auch wenn ich dem ›g‹ nach links einen Hauch weniger Luft gegeben hätte). Allerdings wirkt jetzt der aus dem Plain-Schnitt gesetzte ›tages‹-Teil etwas luftiger als der ›schau‹-Teil, für den der ExtraBold-Schnitt der TheSans verwendet wurde. Diese Diskrepanz war in der alten Version weniger auffällig, auch wenn innerhalb der Teile jeweils nicht viel stimmte. Man hätte das bei der neuen Version ohne großen Aufwand ausgleichen können.

Die wichtigste Änderung im typografischen Erscheinungsbild ist, dass TheAntiqua, das Antiqua-Mitglied der Thesis-Sippe (wer hätte es gedacht?), komplett verschwunden ist und durch die bereits vorher verwendete TheSans bzw. die neu eingeführte TheSerif ersetzt wurde. Mit anderen Worten: Die bereits nicht allzu filigrane TheAntiqua mit ihren keilförmigen Serifen wurde gegen TheSerif, eine Slab Serif mit noch robusteren Serifen, ausgetauscht – eine Entscheidung, die auch in Zeiten von stets höher auflösenden Videoformaten mit Blick auf bessere Lesbarkeit getroffen worden sein dürfte. Was ich im Designtagebuch zu diesem Thema las, ist jedoch demnach leider falsch:

Auch weiterhin werden alle Texte innerhalb des On-Air-Designs in der Thesis TheSans beziehungsweise der Thesis TheSerif gesetzt.

TheSerif hat, wie gesagt, in den Sendungen von ARD-Aktuell im Ersten bisher keine Rolle gespielt. Richtig ist, dass TheSans weiter zum Einsatz kommt, allerdings teilweise an anderen Stellen als vorher (siehe unten). Der ein- bis zweizeilige Text, der bei Wortmeldungen vom Zuschauer aus links vom Sprecher bzw. Moderator steht, wurde zum Beispiel bisher aus TheAntiqua gesetzt.

Nicht zuletzt durch den Einsatz vollflächiger Fotos hat sich die Gestaltung dieses Hintersetzers merklich verändert. Der Text steht jetzt nicht mehr getrennt vom Foto und oberhalb davon, sondern direkt auf dem Foto in einer bläulich schattierten, halbtransparenten Zone in der unteren Bildhälfte. Außerdem wurde das maximal zweizeilige Format erweitert, wobei jetzt ein bis zwei aus TheSans ExtraBold gesetzte Hauptzeilen von einer Oberzeile begleitet werden, für die die Kapitälchen aus TheSerif zum Einsatz kommen. Im gleichen Maßstab wie die oben gezeigte alte Variante sieht das wie folgt aus:

Die Verwendung von Kapitälchen (ohne Großbuchstaben) ist, neben der Einführung von TheSerif, eine zweite wichtige Neuerung im typografischen Konzept. Allerdings zeigte sich schon in den ersten Tagen, dass den verwendeten Fonts Zeichen fehlen, um die Idee, die meist hinter dem Einsatz von Kapitälchen steht, voll zum Tragen kommen zu lassen. Kapitälchen sorgen, wie Großbuchstaben, durch ihre uniforme Höhe für ein ruhigeres, übersichtlicheres Erscheinungsbild als gemischte Groß- und Kleinschreibung. Sie sind zusätzlich, im Vergleich zu Großbuchstaben, oft etwas breiter gezeichnet, wodurch sie noch etwas bulliger wirken. Diese kompakte Erscheinung leidet natürlich, wenn die Kapitälchen mit Mediävalziffern (mit Ober- und Unterlängen) oder, wie im vorliegenden Fall, mit Versalziffern (mit Oberlängen) kombiniert werden. Das sieht dann nämlich so aus:

Derjenige, der diesen Text gesetzt hat, hat bloß den Fehler gemacht, tabellarisch statt proportional zugerichteter Ziffern zu verwenden. Das ist allerdings ein chronisches Problem bei der tagesschau oder vielleicht sogar eine bewusste, aber meines Erachtens falsche Entscheidung. Dass keine Kapitälchenziffern eingesetzt wurden, dürfte hingegen nicht an der Unfähigkeit des Grafikers liegen, sondern schlicht daran, dass selbst die aktuelle Version von TheSerif meines Wissens über keine solchen Ziffern verfügt. Das muss den Verantwortlichen aufgefallen sein, denn die in TheSerif gesetzte Oberzeile des Hintersetzers ist in genau einem Fall nicht in Kapitälchen gesetzt, sondern in gewöhnlichen Groß- und Kleinbuchstaben, und zwar bei der Ankündigung der Wettervorhersage. Da steht in der Oberzeile nämlich stets das volle Datum (›Donnerstag, 24. April 2014‹), das in einer Mischung aus Kapitälchen und Versalziffern sonderbar aussähe. Vielleicht wurde das Fehlen von Kapitälchenziffern zu spät bemerkt, denn die logische Vorgehensweise wäre gewesen, beim Hersteller eine erweiterte Version der Fonts mit passenden Ziffern in Auftrag zu geben. Die Kosten dafür wären in Relation zum finanziellen Gesamtaufwand von 23,8 Millionen Euro wohl äußerst moderat gewesen.

Im Folgenden zeige ich eine Gesamtübersicht der Typografie im alten und neuen Design. Ich habe mich dabei auf Elemente beschränkt, die auch in der neuen 20-Uhr-tagesschau regelmäßig vorkommen. Die Texte stehen in der Tabelle auf einem farblichen Hintergrund, auf dem sie typischerweise erscheinen. Das Farbschema ist, wie das Studio, insgesamt dunkler und entsättigter geworden. Zur detaillierten Beurteilung der Farben ist die Tabelle jedoch aus drei Gründen nicht geeignet: Erstens habe ich die Farben bloß aus online verfügbaren Videos übernommen und verbürge mich nicht für deren Exaktheit. Zweitens stehen viele der Elemente auf wechselnden und detailreichen Hintergründen: Bei allen Angaben in der Wetterkarte zum Beispiel hängt die konkrete Darstellung von der Bewölkung oder den aktuellen Temperaturen ab. In anderen Fällen ist der Fond nicht komplett einfarbig, wie die Darstellung hier suggeriert. Drittens sind viele farbige Rahmen und Hintergründe, wie bereits erwähnt, transparent, sodass die Schrift auf dem dahinter liegenden Foto oder Bewegtbild immer anders erscheint. Als Übersicht über die typografische Gestaltung darf die Tabelle allerdings ernst genommen werden. Bloß noch ein Hinweis vorab: Ich habe in einigen Fällen statt des Plain-Schnitts den SemiBold-Schnitt verwendet, um dem Strichstärkenzuwachs, der in niedrigeren Auflösungen zu beobachten ist, Rechnung zu tragen. Es ist wahrscheinlich, dass die Texte ursprünglich aus dem Plain-Schnitt gesetzt sind, aber es war mir wichtiger, hier den optischen Eindruck korrekt wiederzugeben.


TheAntiqua wurde in acht Kontexten ersetzt, davon fünf Mal durch TheSerif und drei Mal durch TheSans. In sechs Fällen steht jetzt TheSerif, wo vorher TheSans zum Einsatz kam (wobei Karten und deren Beschriftung im neuen Design eine geringere Rolle als zuvor spielen). Neben der neuen Oberzeile tauchen Kapitälchen an mindestens fünf weiteren Stellen auf (davon einmal sogar die der TheSans und in orange). Der einzige Kontext, in dem kursive Buchstaben verwendet werden, ist weiterhin klassisch die Beschriftung von Gewässern – aber der Kontrast wurde deutlich erhöht. Diese kleine, aber zuschauerfreundliche Anpassung ist kennzeichnend für das typografische Gesamtkonzept: Es ist nicht radikal anders als sein ebenfalls brauchbarer und übersichtlicher Vorgänger; auch werden die verwendeten Schriften auf ähnliche Weise eingesetzt wie zuvor. Der positive Gesamteindruck bei mir entsteht vor allem aus Detailverbesserungen: hier ein wenig klarer, dort ein wenig größer. Die wichtigste und richtige Einzelentscheidung ist der Abschied von TheAntiqua – einer wunderbaren Schrift, deren elegante Gestaltung allerdings nur in HD-Auflösung wirklich zu würdigen ist. TheSerif und TheSans ertragen die ungebrochene Pixeligkeit der Mediatheken erheblich besser und stehen jetzt, anders als vorher, auf dunkleren und trotz Transparenz weniger unruhig wirkenden Hintergründen. Die Anmutung ist flächiger, schlichter und hochwertiger: kein Meilenstein, aber ein gemessener Schritt nach vorn. Wenn jetzt noch Kapitälchenziffern ins Spiel kämen, bliebe aus meiner Sicht nicht mehr viel zu verbessern.

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