Der kurze Weg nach Kompiembiga

Ich sitze beim Frühstück und lese auf der Seite der Deutschen Welle eine Meldung mit der Überschrift Viele Tote bei Anschlagsserie in Burkina Faso. Der erste Absatz lautet:

Der tödlichste der drei Angriffe fand auf einem Viehmarkt in der Provinz Kompienbiga im Osten des Landes statt. Nach Angaben der Regierung starben dort mindestens 25 Menschen. Angreifer seien auf Motorrädern in den Markt eingedrungen und hätten um sich geschossen, berichtete ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur AFP. Die Nachrichtenagentur AP zitiert einen weiteren Augenzeugen, nach dessen Aussage es bei der Attacke in Kompienbiga sogar mehr als 50 Tote gegeben haben soll.

Wenn ich etwas über einen Ort lese, den ich nicht kenne, schaue ich meistens kurz nach, wo genau er sich befindet. Burkina Faso könnte ich auf einer Karte von Afrika vielleicht noch halbwegs einordnen. Aber Kompienbiga? Ich gebe den Namen bei Google Maps ein. »Für ›Kompienbiga‹ wurden keine Ergebnisse gefunden.« Keine Ergebnisse für eine Provinz in Burkina Faso? Vielleicht ist der Name falsch geschrieben. Ich suche bei Google News nach Burkina Faso, um weitere Meldungen zu dem Thema zu finden, aber außer der Deutschen Welle scheint zum Zeitpunkt meiner Suche fast keine deutschsprachige Quelle über den Anschlag berichtet zu haben. (Das Einzige, was ich finde, ist eine sehr kurze Meldung beim Deutschlandfunk, der zufolge der Anschlag »im Osten des Landes« stattgefunden hat.)

Aber ich kann ja noch andere Sprachen. Ich wechsle in Google News die Sprache auf Englisch (United Kingdom) und finde unter anderem einen Artikel der BBC. Die Überschrift lautet: Burkina Faso gunmen ‘kill dozens’ at cattle market in Kompienga (Bewaffnete in Burkina Faso ›töten Dutzende‹ auf Viehmarkt in Kompienga; diese und alle weiteren Übersetzungen sind von mir). Die ersten beiden Sätze lauten:

Some 30 people have been killed in eastern Burkina Faso in a gun attack on a cattle market, reports say. Gunmen on motorbikes fired into the crowded market in Kompienga town around lunchtime on Saturday, eyewitnesses and residents said. (Wie berichtet wird, wurden ungefähr 30 Personen im Osten von Burkina Faso bei einem Schusswaffenangriff auf einen Viehmarkt getötet. Bewaffnete auf Motorrädern eröffneten nach Angaben von Augenzeugen und Ortsansässigen um die Mittagszeit das Feuer auf den gut besuchten Markt in der Stadt Kompienga.)

Aha, ›Kompienga town‹ – das ist ja schon mal etwas anderes als Kompienbiga. Wahrscheinlich wirklich ein Tippfehler bei der Deutschen Welle. Mal sehen, ob sich damit etwas finden lässt. Aus der englischsprachigen Wikipedia erfahre ich, dass Kompienga eine Provinz im Osten von Burkina Faso ist, dass es zudem ein gleichnamiges Département gibt und dass die Hauptstadt dieses Départements ebenfalls Kompienga heißt. In dieser Stadt, die – im Gegensatz zu Kompienbiga – bei Google Maps zu finden ist und tatsächlich im Osten des Landes liegt, soll also laut BBC der Anschlag stattgefunden haben.

Mich beschäftigt aber die Frage: Woher hatte die Deutsche Welle die Provinzbezeichnung Kompienbiga? Als Quelle genannt werden die Nachrichtenagenturen AFP und AP. Da ich auf deren Meldungen keinen direkten Zugriff habe, suche ich bei Google mit den Stichwörtern ›Kompienbiga AFP‹ bzw. ›Kompienbiga AP‹ und stoße auf eine Meldung des französischen Fernsehsenders TV5 Monde, die wie folgt anfängt (und im Weiteren, hier nicht zitiert, die Agentur AFP als Quelle nennt):

« Une trentaine de personnes » ont été tuées samedi par des individus armés à Kompienbiga près de Pama (est du Burkina Faso), selon deux habitants, au cours d’une attaque attribuée à des « groupes armés terroristes » jihadistes par une source sécuritaire.  (Am Samstag wurden ›ungefähr 30 Personen‹ von bewaffneten Personen in Kompienbiga bei Pama (im Osten von Burkina Faso) getötet, nach Angaben zweier Einwohner, während eines Angriffs, der von einer Quelle aus Sicherheitskreisen ›bewaffneten terroristischen Gruppierungen‹ mit jihadistischem Hintergrund zugeschrieben wurde.)

Kompienbiga liegt also laut TV5 Monde in der Nähe von Pama, einer Stadt im Osten von Burkina Faso. In derselben Gegend liegt auch Kompienga, wie sich bereits auf Google Maps gezeigt hatte. Liegt hier vielleicht doch ein Schreibfehler vor oder hat die Stadt einfach zwei Namen?

Eine einfache Google-Suche mit dem Suchbegriff Kompienbiga führt mich zu Lefaso.net, einer unabhängigen Nachrichtenseite aus Burkina Faso (laut einem Artikel in der französischsprachigen Wikipedia). Dort sind die Anschläge an mehreren Stellen ein Thema. Unter anderem wird in einer Meldung mit der Überschrift Burkina : 30 civils et 5 gendarmes tués dans une double attaque (Burkina: 30 Zivilisten und 5 Polizisten bei Doppelangriff getötet) etwas gezeigt, das aussieht wie der Scan einer Pressemeldung. Am Kopf der gescannten Seite steht etwas, das sich als das Wappen von Burkina Faso herausstellt, sowie der Text ›Ministère de la Communication et des Relations avec le Parlement‹ (Ministerium für Kommunikation und für Beziehungen zum Parlament). Die Meldung ist mit einem Stempel auf den 31. Mai 2020 datiert. Die Unterschrift, die darunter steht, soll von Rémis Fulgance Dandjinou sein. Auf der Seite der burkinischen Regierung stelle ich fest, dass eine Person dieses Namens tatsächlich Kommunikationsminister von Burkina Faso ist. Textfragmente, die auf dem Scan zu sehen sind, werden auf der Seite der Agence d’Information du Burkina, der staatlichen Nachrichtenagentur des Landes, zitiert. Genauer überprüfe ich den Scan an dieser Stelle nicht, sondern gehe davon aus, dass es sich um eine tatsächliche Pressemeldung der burkinischen Regierung handelt. In der Meldung heißt es:

Le samedi 30 mai 2020, deux attaques terroristes ont été perpétrées, l’une au marché à bétail de Kompiembiga (Province de la Kompienga, Région de l’Est), le deuxième sur l’axe Foubé-Barsalogho (Province du Sanmatenga, Région du Centre-Nord). (Am Samstag, dem 30. Mai 2020, sind zwei terroristische Angriffe verübt worden, der eine auf den Viehmarkt von Kompiembiga (Provinz Kompienga, Region Ost), der zweite auf der Verkehrsachse zwischen Foubé und Barsalogho (Provinz Sanmatenga, Region Zentrum-Nord).

Der Unterschied ist klein, aber interessant: In der Pressemeldung wird die Schreibweise Kompiembiga verwendet – und nicht, wie in den zitierten Meldungen, Kompienbiga. Aber wie heißt er nun, der Ort im Osten nahe Pama, an dem der Anschlag auf den Viehmarkt stattgefunden hat: Kompienga, Kompienbiga oder Kompiembiga? Mit der Schreibweise ›Kompiembiga‹ stoße ich auf eine Meldung des französischen Radiosenders rfi. Der Vorspann der Meldung, die unter Mitwirkung von Yaya Boudani, des Korrespondenten in Ouagadougou (der Hauptstadt von Burkina Faso) und vermutlichen Inhabers des Twitter-Accounts @YayaBoudani, zustande gekommen sein soll, lautet:

Au Burkina Faso, des hommes armés ont ouvert le feu sur les commerçants et clients du marché de bétail de Kompiembiga, à 15 kilomètres de la ville de Pama sur l’axe Fada/Pama, dans l’est du pays, samedi 30 mai. (In Burkina Faso haben am Samstag, dem 30. Mai, Bewaffnete das Feuer eröffnet auf Händler und Kunden des Viehmarkts in Kompiembiga, 15 Kilometer von der Stadt Pama entfernt an der Verkehrsachse zwischen Fada und Pama, im Osten des Landes.)

Diese Informationen werfen ein neues Licht auf die Angaben der BBC, dass der Anschlag in Kompienga stattgefunden hat. Die Stadt Kompienga, so zeigt sich bei Google Maps, liegt zum einen rund 34 km von Pama entfernt. (Oder sollten sich die 15 km auf die Luftlinie zwischen den Orten beziehen?) Vor allem aber liegt Kompienga nicht an der Verkehrsachse zwischen Pama und Fada, der Fernstraße N18, die von Taparko zur Grenze mit Benin führt. Entweder sind die Informationen zur Lage des Ortes falsch oder der Anschlag hat nicht in Kompienga stattgefunden. Aber was oder wo ist Kompiembiga?

Wie sich herausstellt, ist auch Google Maps nicht allwissend. Dass der Ort dort nicht gefunden wird, heißt nicht, dass es ihn nicht gibt. Wer über Bing Maps oder OpenStreetMap nach Kompiembiga sucht, stößt auf einen kleinen Ort, der ungefähr 15 Kilometer von Pama entfernt ist und an der N18 zwischen Fada und Pama liegt. Bei einer Suche in der deutschsprachigen Wikipedia mit dem Suchwort ›Kompiembiga‹ stoße ich auf den Artikel über die Kleinstadt Pama und erfahre ergänzend: »Der in vier Sektoren unterteilte Hauptort und die dazugehörigen 14 Dörfer (Bombontangou, Folpodi, Kabonga I, Kabonga II, Kalmama-Signoghin, Koalou, Kompiembiga, Kpadiari, Nadiagou, Niorgou I, Niorgou II, Oumpougdéni, Tibadi und Tindangou) haben zusammen 36.503 Einwohner.« (Hervorhebung von mir)

Fassen wir zusammen: Ich habe auf lefaso.net, einer lokalen Quelle, eine offizielle Pressemeldung gefunden, die mir authentisch erscheint, und bin mit dem darin gefundenen Ortsnamen zu einer Nachrichtenmeldung von rfi gekommen, die sich ebenfalls auf (halbwegs) lokale Quellen stützt. Die darin genannten Details decken sich mit allgemein verfügbaren Kartendaten. Auf Basis all dieser Informationen gehe ich davon aus, dass der Anschlag auf den Viehmarkt von Kompiembiga verübt wurde, einem zu Pama gehörigen Dorf an der N18 zwischen Fada und Pama. Die Meldung der Deutschen Welle, in denen von einer nicht existierenden Provinz Kompienbiga berichtet wurde, sowie die der BBC, die den Anschlag in der Stadt Kompienga verortet hat, sind damit aus meiner Sicht falsch. Auch die Angaben in einer Reuters-Meldung, auf die sich weitere Nachrichtenseiten zu stützen scheinen, halte ich für nicht richtig (hier ist von einer »attack on the market in the eastern village of Kompienga« die Rede).

Man könnte die Recherchen, die ich angestellt habe, sicher ausweiten und verfeinern. Man könnte zu klären versuchen, warum der Ortsname in offiziellen Quellen und auf Karten als Kompiembiga angegeben wird, in anderen lokalen Quellen aber als Kompienbiga. Ich glaube allerdings, dass man auch dann nicht zu einem anderen Ergebnis kommen würde, als dass die Ortsangaben in den Meldungen falsch sind – und wir wollen auch nicht vergessen, dass ich gerade noch beim Frühstück war.

Aber ist es nicht egal, ob der Anschlag nun in einem Dorf links oder rechts von einer Stadt irgendwo in Afrika, von der wir alle noch nie gehört haben, stattgefunden hat? Ich glaube nicht. Wenn ich beim Frühstück etwas dazulernen will, einen Ortsnamen bei Google eingebe und am Ende einer Recherche von vielleicht zwanzig Minuten feststellen muss, dass nicht mal die Angabe des Ortes stimmt, an dem das Ereignis stattgefunden haben soll, schwächt das mein Vertrauen in die Quellen, die ich konsultiert habe. Wenn ich aus reiner Neugier an einer beliebigen und ziemlich naheliegenden Stelle in eine Meldung pikse und direkt einen Fehler entdecke, fällt es schwer, den Rest vorbehaltlos zu glauben. Es wäre gut, wenn beim nächsten Mal jemand, der schon fertig ist mit dem Frühstück und dafür bezahlt wird, nach Kompiembiga sucht – oder nach dem Ort, an dem dann etwas Schreckliches passiert ist.

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