Unten stehende Angaben basieren ausschließlich auf meiner eigenen unzureichenden Intuition als nicht mal waschechter Muttersprachler des ›Meenzerischen‹ und bedürften näherer, gründlicherer Untersuchung. Ich schreibe dies nur auf, da ich auf Seiten wie dem Wikipedia-Artikel zum Rheinhessischen Dialekt keinerlei Informationen phonologischer oder phonetischer Art gefunden habe. Der Mainzer Dialekt zählt zum südhessischen Zweig der westmitteldeutschen Mundarten. Was hier beschrieben wird, gilt – mit einigen Abstrichen – für das gesamte nördliche Rheinhessen.
Das Konsonantensystem der Mainzer Mundart ähnelt dem des Standarddeutschen weitgehend: Alle Plosive – /p, b, t, d, k, g, ʔ/ – sind vorhanden, wenn auch nicht in derselben Distribution wie in der Hochsprache. Stimmlose Plosive, übrigens auch im Dialekt aspiriert gesprochen, kommen intervokalisch nicht vor. Alle drei Nasale des Deutschen – /m, n, ŋ/ – erscheinen auch im Mainzer Dialekt in vergleichbaren Kontexten und haben die aus dem Standard bekannten Realisierungen, wie etwa das Allophon [ɱ] für /m/ vor anderen Labiodentalen. Das Frikativinventar ist gegenüber dem Deutschen um ein Phonem ärmer: /ʃ/ steht, wo die Hochsprache /ç/ hat. Ferner vorhanden sind /f, v, s, z, ʒ, x, ʁ, h/, wobei /v/ – wie auch im Hochdeutschen – als Approximant [ʋ] realisiert wird. Die anderen Realisierungen entsprechen auch der Standardsprache. Anders als in der Standardvarietät hat /ʒ/ allerdings eine nicht bloß marginale, auf Fremdwörter beschränkte Rolle – dies wiederum bedingt durch den Fakt, dass auch bei den Frikativen keine stimmlosen Laute zwischen Vokalen stehen können. Im Anlaut kontrastieren stimmhafte und stimmlose Laute grundsätzlich, obwohl auch hier die stimmhaften Laute vielfach die Rolle übernehmen, die die stimmlosen in der Standardsprache haben: So kommt /t/ praktisch nur in (lautlich sonst gut integrierten) Fremdwörtern vor und auch /s/, ist, wie im Standarddeutschen, allenfalls auf Fremdwörter beschränkt. Oder fehlt es ganz? Dann wäre es sogar möglich, mit einem /s/-Phonem auszukommen, da die Realisierung als [s] bzw. [z] durch die Position bestimmt werden könnte: [z] im Anlaut und intervokalisch, [s] im Auslaut. Der Approximant /j/ und der Lateral /l/ stimmen in Dialekt und Hochsprache überein, was Verteilung und Realisierung angeht.
Das Vokalsystem des Standarddeutschen ist mit 14 bzw. 15 qualitativ distinkten Monophthongen laut World Atlas of Language Structures eines der reichsten der Welt. Im Mainzer Dialekt bleiben davon 11 übrig, wobei zwei der Phoneme eine Längendifferenzierung kennen: /iː, ɪ, eː, ɛ, ɛː, æ, ə, u, ʊ, oː, ɔ, ɑ, ɑː/. In der Mundart kommen die gerundeten Vordervokale /yː, ʏ, øː, œ/ nicht vor; wo diese im Hochdeutschen erscheinen, stehen in der Mundart vielfach die ungerundeten Gegenstücke /iː, ɪ, eː, ɛ/. /æ/ entspricht dem standarddeutschen /ɐ/ als Realisierung von <-er>. Von den drei Diphthongen der Hochsprache sind zwei im Dialekt zu finden, nämlich /ɑɪ, ɑʊ/. Ersteres steht häufig in Wörtern, in denen der Standard /ɔɪ/ vorsieht. Allerdings darf weder bei den Konsonanten noch bei den Vokalen von einer 1:1-Zuordnung von Phonemen des Dialekts zu denen der Standardsprache ausgegangen werden.
Konsonanten
/p/ Pfarrer [ˈpɑʁæ]
/b/ passen [ˈbɑzə]
/t/ Tante [ˈtɑndə]
/d/ tanzen [ˈdɑnzə]
/k/ Kirche [kæʃ]
/ɡ/ Garten [ˈɡɑːdə]
/m/ Mutter [ˈmʊdæ]
/n/ neu [nɑɪ̯]
/ŋ/ bringen [ˈbʁɪŋə]
/f/ Viertel [ˈfɛdəl]
/v/ Wasser [ˈʋɑzæ]
/s/ Gasse [ɡɑs]
/z/ wissen [ˈʋɪzə]
/ʃ/ schießen [ˈʃiːzə]
/ʒ/ morgen [ˈmɔʒə]
/ʁ/ rupfen [ˈrɔbə]
/h/ haben [ˈhaʋə]
/j/ jünger [ˈjɪŋæ]
/l/ lecken [ˈlɛɡə]
Vokale
/iː/ bieten [ˈbiːdə] und Füße [fiːs]
/ɪ/ bitten [ˈbɪdə] und Brücke [bʁɪk]
/eː/ beten [ˈbeːdə] und schöne [ˈʃeːnə]
/ɛ/ Betten [ˈbɛdə] und können [ˈkɛnə]
/ɛː/ bleich [blɛːʃ]
/æ/ Kinder [ˈkɪnæ]
/ə/ warten [ˈʋɑːdə]
/uː/ rufen [ˈʁuːʋə]
/ʊ/ Butter [ˈbʊdæ]
/oː/ rote [ˈʁoːdə]
/ɔ/ Kopf [ˈkɔp]
/ɑ/ Backen [ˈbɑɡə]
/ɑː/ Straße [ʃtʁɑːs]
/aɪ/ drei [ˈdʁɑɪ̯] und Kreuz [ˈkʁɑɪ̯t͜s]
/aʊ/ laufen [ˈlɑʊ̯ʋə]
Besonderheiten
/-CəN/-Sequenzen – N steht für einen beliebigen Nasal – werden im Standarddeutschen zu /-CN̩/ reduziert, wobei der Nasal zum Silbenkern wird. Im Mainzer Dialekt wird dagegen zu /-Cə/ reduziert, also wird ›gutem‹ /ˈɡuːdəm/ als [ˈɡuːdə] ausgesprochen und ›werfen‹ /ˈʋɛʋən/ als [ˈʋɛʋə]. Im Dialekt werden /Vʁ/-Sequenzen in Kontexten, in den das Standarddeutsche [ɐ] oder [Vɐ̯]-Diphthonge realisiert, als [V] oder [Væ̯̆]-Diphthonge mit sehr kurzem zweitem Element gesprochen. Dies führt zu einem Zusammenfall zahlreicher Formen, die sich allenfalls bei deutlichem Sprechen noch unterscheiden lassen; ›kurze(n)‹ und ›kotze(n)‹ lauten beide [ˈkɔt͜sə]. Anders als einzelne Konsonanten werden Affrikaten intervokalisch nicht voll stimmhaft, aber [d͜z] wäre in diesem Fall auch nicht die richtige Transkription.
Offene Fragen
- Genügt ein /s/-Phonem oder gibt es doch Umgebungen, in denen [s] und [z] kontrastieren?
- Werden /ɑ, ɑː/ wirklich weiter hinten, also als [ɑ, ɑː], realisiert im Vergleich zum deutschen [ä, äː]? Spielt Rundung im Mainzer Dialekt eine Rolle?
- Gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen /ɛ/ und /æ/?
Bin heute zufällig auf diesen interessanten Beitrag gestoßen. Ich bin selbst kein Mainzer sondern Wetterauer, habe aber lang in Mainz gewohnt und arbeite seit sehr langen Jahren täglich mit einem Gonsenheimer zusammen, der ein sehr breites und konservatives Platt spricht.
Zwischen korze und kotze höre ich in Mainz einen Unterschied. Auch in Südhessen ist es üblich geworden, Wurst oder Frankfurt als Woschd oder Frankfodd wiederzugeben. M.E. ist das aber für den gesamten Dialektraum falsch. In korz, Worscht höre ich einen Diphthong mit einem ersten Bestandteil, der noch offener ist als der Laut in „kotze“.
Das Beispiel für /au/ scheint mir unglücklich gewählt, weil es auf Meenzerisch nicht „laufe“ sondern „laafe“ hääßt. Ich würde es beispielsweise durch „Maus“ < mhd. muus ersetzen.
Das ü wird zwar vielfach noch durch i und das standardsprachliche ö durch e ersetzt. Mein Eindruck ist aber, dass das (ist das der deutsche Fachbegriff?) obsoleszent ist und außerdem darauf hindeutet, dass der Sprecher nicht aus der Mittelschicht stammt.
… on a second thought und nach näherem Hinhören gestern abend in einer Straußwirtschaft könnte es sein, dass bei manchen Sprechern der Diphthong in „korze“ tatsächlich nur einen kaum hörbaren zweiten Bestandteil hat. Aber das o ist deutlich offener als in „kotze“. Ist es nicht ohnehin so, dass das kurze (korze) o in „doch“, „kotz“, „Post“ im rheinfränkischen (und wohl auch im alemannischen und bairischen) Sprachgebiet deutlich geschlossener ist als im Norden?